Was ist Facilitation und wo liegen Unterschiede zu anderen Praktiken?
Als Facilitatorin bin ich Expertin in der Begleitung von Dialogprozessen, die einen Unterschied machen in der Art, wie Menschen miteinander wirksam sind. Ich nutze meine Erfahrung, meine Kreativität, mein Wissen und meine Neugier in der Arbeit mit Gruppen, um sie darin zu unterstützen, ihre Ziele zu erreichen. Meine Arbeit wird dann zum Erfolg, wenn ich ein Treffen so gestalte, dass sich Menschen freudvoll und engagiert einbringen und das Gefühl bekommen, etwas Wertvolles beizutragen und gemeinsam einen Mehrwert zu schaffen.
Es sind nach meiner Erfahrung zwei Schlüsselfaktoren, die eine Gruppe oder ein Team außergewöhnliche Ergebnisse erzielen lassen:
- es ist die Gewissheit, dass alle frei sprechen können und dass die Kommunikation in einem sicheren Rahmen stattfindet (beachte hierzu auch das Konzept der „psychologischen Sicherheit“, welches vor allem von Amy C. Edmonson (2020) herausgearbeitet wurde) UND
- wenn den beteiligten Menschen die Sinnhaftigkeit des Themas oder der Veränderung eingängig ist und sie darüber hinaus eingeladen werden, diese mitzugestalten.
Zum Entwickeln tragfähiger Lösungen wird außerdem die Perspektive aller Beteiligten benötigt. Es geht also im Kern um das Schaffen eines sicheren Raums (Container) für eine ganz unterschiedlich zusammengesetzte Gruppe, in der sich die Beteiligten eingeladen und ermächtigt fühlen, ihr Bestes für eine gemeinsame Sache zu geben. Neue und kluge Lösungen entstehen, wenn es gelingt, eine Kultur zu schaffen, in der alle offen ihre Gedanken und Gefühle ausdrücken können. Es geht nicht um den Austausch von Argumenten, sondern es ist grundlegend, dass sich eine dialogische Kultur entwickelt.
Warum ist dies so schwierig? In der Theorie geht eine Gruppe ein herausforderndes Problem in geordneten und logischen Schritten an. Ideen und Meinungen werden gesammelt, verschiedene Lösungen entwickelt, anschließend gewichtet und zum Schluss wird eine sachliche Entscheidung gefällt.
Im realen Leben jedoch verlaufen Gruppenprozesse oft ganz anders: Für viele Menschen kann es schwer sein, ihren Fokus vom Ausdruck ihrer eigenen Meinung hin zu einem Zuhören und Verstehen anderer Meinungen zu verlagern. Das ist vor allem dann schwierig, wenn es sehr unterschiedliche Perspektiven auf die Problemstellung gibt und die beteiligten Personen genervt, ungeduldig oder desorientiert reagieren. Manche fühlen sich dann missverstanden und wiederholen sich ständig, andere wollen, dass endlich eine Entscheidung getroffen wird. Hinzu kommt, dass der Druck für die Person, die für das Treffen verantwortlich ist, steigt. Häufig passiert es, dass diese Person – sei es die Führungskraft oder eine externe Person – dem Druck nachgibt und alle zu einer Entscheidung drängt oder diese durch eine schnelle Abstimmung herbeiführt. Das ist nicht per se ein Problem, jedoch wird dadurch in der Regel die »alte Denkweise« reproduziert. Es entsteht nichts Neues. Kluge Menschen wissen dies schon lange, und in unserer komplexer werdenden Welt entsteht gerade immer mehr Know-How, wie wir auch in Gruppen zu neuem Denken kommen und die „Schwarm-Intelligenz“ heben können.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu anderen Disziplinen
Moderation: Die »Moderationsmethode« wurde in den 1970er-Jahren in Deutschland durch das »Quickborner Team« (Klebert/Schrader/Straub 2002) eingeführt und hat sich mittlerweile zu einer Kulturtechnik entwickelt. Moderationstechniken und -methoden werden heute in allen Bereichen des themenbezogenen Miteinanders angewandt: sowohl in Unternehmen, Organisationen, Teams und politischen Gruppen als auch in Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft und öffentlichen Institutionen. Sie ermöglichen eine strukturierte, effektive und am Thema orientierte Arbeit. Wissen, Meinungen, Standpunkte und Kompetenzen vieler werden zusammengetragen und in einer kreativen und aktivierenden Weise nutzbar gemacht.
Seit den 1970er-Jahren haben sich diese Moderationsmethoden weiterentwickelt und mit anderen Disziplinen verbunden. So ist zum Beispiel Mitte der 1980er-Jahre die Großgruppenbegleitung als neue Möglichkeit für die basisnahe, partizipative und zielorientierte Arbeit mit »ganzen Systemen« entstanden. Der interaktive Charakter der Gruppenarbeit löst seitdem immer mehr das starre Konzept von Plenumssitzungen und Expertenvorträgen ab und schafft Räume für authentische Kommunikation, kollektive Problemlösung und gemeinschaftliche Übernahme von Verantwortung.
Moderationsmethoden werden häufig als Allheilmittel für effektive Gruppenprozesse missverstanden. Zielführend sind jedoch weniger die Methoden selbst, sondern die authentisch gelebte Haltung der begleitenden Person, die den Rahmen sorgsam vorbereitet hat, flexibel mit Methoden umgeht und die Gruppe weder manipuliert noch von der Eigenverantwortung entbindet.
Prozessberatung: In sozialen Bewegungen (vor allem in den USA) entstanden seit den 1980er-Jahren weitere Moderationsverfahren und -methoden, die unsichtbare Ungleichheiten in der Gruppe thematisieren, die eine Gruppe zur Selbststeuerung ermächtigen und durch Entschleunigung Zeit für eine gemeinsame Reflexion des gesellschaftlichen Rahmens schaffen. Daraus speist sich ein neues Rollenverständnis für die begleitende Person, welches die Prozessberatung und -begleitung in den Vordergrund stellt – die facilitative Haltung. Ed Schein, einer der Begründer der Organisationsentwicklung hat dazu die wichtigsten wissenschaftlichen Impulse gegeben und das Thema »Prozessberatung« allgemein bekannt gemacht (Schein 1985).
Facilitation: Der im englischen Sprachgebrauch gängige Begriff Facilitation verbreitet sich seit einigen Jahren – häufig parallel zu Prozessbegleitung – zunehmend auch im deutschsprachigen Raum.
Facilitation ist eine Art, mit Menschen zu arbeiten und wird genutzt, um den erfolgreichen Ablauf und Prozess von Treffen, Workshops oder Konferenzen sicherzustellen. Facilitation ermöglicht die Herausbildung von Kontakt, Fokus und Verbindlichkeit in Gruppen.
Facilitatorinnen und Facilitatoren – ob intern oder extern – bleiben neutral und unterstützen die Gruppe in ihren Kommunikations- und Entscheidungsprozessen. Sie bringen keine eigenen Sichtweisen, Resonanzen oder Ratschläge ein in Bezug auf den Gegenstand des Diskurses. Stattdessen fokussieren sie sich darauf, in der Vorbereitung und in der Durchführung einen Rahmen bereitzustellen und zu halten, der es der Gruppe ermöglicht, in der zur Verfügung stehenden Zeit zu den gewünschten Ergebnissen zu gelangen. Dieses Ergebnis kann zum Beispiel eine Entscheidung, ein Umsetzungsplan oder eine Strategie sein.
Unterschied zu Training und Beratung: Eine wichtige Unterscheidung vom Training oder der Beratung ist, dass Facilitatorinnen und Facilitator in der Regel keine eigenen Inhalte, Wissen oder Expertise bezüglich des Themas oder der Problemstellung liefern.
Die folgende Übersicht über die Rollendefinitionen von Trevor Turnford und Malin Morén (www.facilprofundo.com) bietet aus meiner Sicht eine hilfreiche Unterscheidung an (übersetzt und leicht verändert von Jutta Weimar, mit freundlicher Genehmigung der Autor:innen).
Rollendefinitionen nach Turnford/Morén | |||
Definition | Inhaltliche Orientierung | Am besten geeignet für | |
Facilitation | Facilitatorinnen und Facilitatoren erleichtern es Gruppen, Ergebnisse zu erzielen, indem eine Struktur und ein Prozess zur Verfügung gestellt und begleitet werden. | Sie sind neutral und überparteilich.
Der Fokus ist die Prozessexpertise. Sie sind nicht in das Thema oder die Entscheidungsfindung involviert. |
Gruppen, die durch inklusive und partizipative Prozesse Ergebnisse erzielen möchten. |
Moderation | Moderatorinnen und Moderatoren helfen Teilnehmenden innerhalb einer vorgegebenen Zeitstruktur zu bleiben und den Fokus auf das Ziel zu behalten. | Sie sind genügend informiert über Inhalt, um durch qualitativ hochwertige Fragen den Prozess zu unterstützen und herauszufordern. | Debatten und Prozesse, die eine neutrale Perspektive benötigen, um voranzukommen. |
Coaching | Ein Coach unterstützt Individuen oder Teams dabei, Ziele zu erreichen, indem sie helfen, das eigene Denken und Verhalten zu reflektieren. | Sie sind neutral bis informiert. Der Coach hält durch Fragen dem Coachee einen Spiegel hin, sodass dieser reflektieren kann. | Menschen, die sich weiterentwickeln wollen und einen anderen Umgang mit Herausforderungen erlernen möchten. |
Mediation | Mediatorinnen und Mediatoren unterstützen Konfliktparteien dabei, in schwierigen Situationen eine Einigung zu erlangen. | Sie sind allparteilich, benötigen aber genügend Kontextwissen, um den Konflikt zwischen den Parteien und eine mögliche Lösung zu verstehen. | Zwei oder mehrere Konfliktparteien, die in einer Sache eine Lösung finden wollen, die für alle akzeptabel ist. |
Training | Trainerinnen und Trainer vermitteln Individuen und Gruppen Wissen und Fähigkeiten zur Lösung von konkreten Situationen. | Sie verfügen über hohe Expertise und Erfahrung im jeweiligen Thema, das vermittelt wird. | Einzelne oder Gruppen, die ihre Kompetenz in einem bestimmten Gebiet erweitern wollen. |
Beratung | Beraterinnen und Berater unterstützen ihre Klientel dabei, Entscheidungen zu treffen, indem sie eine spezifische Expertise einbringen. | Sie nutzen eigene hohe Expertise und Erfahrung im Beratungskontext. | Personen, die in einem bestimmten Gebiet Expertenwissen und Ratschlag suchen. |
In der Praxis sind wir als Facilitator:innen keineswegs immer und ausschließlich in dieser Rolle in Reinform gefragt. Viele Prozesse benötigen eine Flexibilität unseres Verständnisses und Verhaltens. An dieser Stelle möchte ich mich jedoch auf die Facilitatorenrolle und die damit verbundenen Arbeitsweisen konzentrieren. Gerade diese Grundlagen praxisnah herauszuarbeiten ist mir ein Anliegen.
Facilitation fördert eine größere Beteiligung und Verantwortung für Entscheidungen.
Durch die facilitative Begleitung lernen die Gruppenmitglieder, ihre eigenen Fachkenntnisse und Fähigkeiten zu schätzen und zu entwickeln. Dabei sind die Prinzipien der Gleichheit, Inklusion, Partizipation und Ergebnisoffenheit von hoher Wichtigkeit und bilden eine Grundlage für unsere Praxis. Auf die Gruppe bezogen bedeutet dies, den Wert des Beitrags jeder Person anzuerkennen und die aktive Beteiligung jedes Gruppenmitglieds bei der Identifizierung und Nutzung der jeweiligen Fähigkeiten, Erfahrungen, Kreativität und Analyse zu fördern. Dieses Verstehen und Einbringen von Fähigkeiten ermöglicht es Einzelpersonen und Gruppen, Entwicklung und Veränderung zu planen und voranzubringen.
Mehr zum Thema Facilitation in meinem „Mini Handbuch Facilitation“, erschienen 2021 beim Beltz-Verlag oder in unseren Ausbildungsangeboten auf www.facilitation-academy.de
© Jutta Weimar – Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Leicht veränderter Auszug aus dem Buch „Mini-Handbuch Facilitation“, erschienen 2021 beim Beltz Verlag. Alle Rechte vorbehalten. Mehr Informationen zu Facilitation unter: www.facilitation-academy.de