Die innere Arbeit als Facilitator*in

FACILITATION ist die professionelle Prozessbegleitung einer Gruppe. Damit vereinbarte Ziele einer Gruppe erreicht werden, sorgen wir Facilitator*innen dafür, dass sich die Fähigkeit zur Selbststeuerung und zur Selbstorganisation in einer Gruppe entfalten kann. Dahinter liegt die Grundannahme, dass sämtliche Potentiale und alle Lösungen, die es braucht, um wirklich gute Entwicklungen und Veränderungen voranzubringen, in der Gruppe selbst liegen.

FACILITATOR*innen sind also die „Ermöglicher“, die Moderator*innen, die diesen Prozess professionell begleiten. Sie gestalten den methodischen, räumlichen und zeitlichen Rahmen, in dem eine Gruppe ihre jeweils eigenen, essentiellen Themen und Anliegen bearbeitet.

Kurz gesagt: der Facilitator ist für die Rahmenbedingungen des Gruppenprozesses verantwortlich, die Gruppe für die Inhalte. Von zentraler Bedeutung für den Gruppenprozess ist die klare Haltung der Facilitator*in, ihr Vertrauen in sich selbst, vor allem aber das grundsätzliche Vertrauen in die Gruppe und ihr Potential. Die Facilitatorin ist von der Überzeugung geleitet, dass das, was die Gruppe gerade erlebt, genau das Richtige ist – auch und gerade dann, wenn es schwierig wird, wenn die Konflikte unlösbar scheinen oder wenn der Prozess andere Wege geht als geplant. Diese gelassene, entspannte Grundhaltung des Facilitators gegenüber dem Gruppenprozess ist eine entscheidende Voraussetzung für dessen Erfolg. Und natürlich braucht eine Facilitatorin neben Erfahrung gutes Rüstzeug und sicheren Umgang mit Methoden, die die Selbstorganisationsfähigkeit von Menschen unterstützt.

Soweit so gut, aber was heißt das in der Praxis? Wird doch von meinen Auftraggeber*innen und den Teilnehmenden oftmals offen oder unterschwellig erwartet, dass ich inhaltlich Führung übernehme und Orientierung gebe, indem ich mich inhaltlich einbringe, Aussagen bewerte oder Gesagtes zusammenfasse. Neben einer klaren Auftragsklärung mit dem Auftraggeber und der Gruppe liegt eine wichtige Grundmaxime für wirkungsvolle Prozessbegleitung in der Fähigkeit, zugleich präsent und möglichst unsichtbar zu sein und sich einer „facilitativen Zurückhaltung“ zu verpflichten. Grundsätzlich gilt: Wenn du im Äußeren aktiv bist, sei im Innern still, und wenn du im Äußeren still bist, beobachte die Gruppe. Hier kommt eine Liste meiner wichtigsten Strategien für Selbstmanagement, die mir helfen, authentisch, ruhig und gelassen für die Gruppe den sicheren Rahmen zu halten, auch wenn einige (oder viele) Menschen unruhig oder ängstlich sind:

  • Wenn die Teilnehmenden arbeiten, tue ich nichts und beobachte. Wenn die Gruppe jedoch an einen Punkt kommt, an dem der Prozess stockt – und solche Momente gibt es bei selbstbestimmter Arbeit nun einmal – ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und zu atmen. Meistens zähle ich in solch einem Moment innerlich bis 10, bevor ich etwas sage.
  • Prüfe deine Gedanken, deinen inneren Dialog und deine negativen Vorannahmen: willst du vor den TN gut dastehen und kompetent erscheinen? Auf der „Hitliste“ der negativen Gedanken steht in dem Fall etwa: „Sie wollen etwas anderes….. Wenn das hier nicht läuft, habe ich versagt ….. Wir kommen nicht zum Punkt ….. Ich wirke planlos und unprofessionell … Sie wollen von mir eine Antwort und ich habe keine…. Die Gruppe fällt auseinander.“
  • Manchmal besteht die Herausforderung auch aus offenen oder unterschwelligen kritischen Reaktionen oder Kommentaren wie: „Sie verdienen so viel Geld mit NICHTS-Tun!“ Hier ist es wichtig, einen freundlichen und selbst-bewussten Umgang zu haben. Das Wissen über und ein gelassener Umgang mit Autoritätsprojektionen hilft dabei sehr! (Denn im Prinzip spricht die Person ja über sich selbst… 😉
  • Wenn du das Gefühl hast, doch eingreifen zu müssen, dann sprich das Offensichtliche an. Dadurch bist du präsent und authentisch. Das kann beispielsweise so aussehen: „Es gibt hier viele Optionen. Haben wir alle berücksichtigt?“ „Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich bin bereit für eine Pause“, „Im Moment habe ich nicht die leiseste Idee, was wir tun können“, oder „Es sieht so aus, als ob dieses Anliegen viele Emotionen hervorbringt“.
  • Sorge dafür, dass die Leute sich im Raum bewegen können, dass sie in Kleingruppen arbeiten können und genügend Zeit für Pausen ist.
  • Arbeite als Begleitperson möglichst im Team, das macht es leichter, sich gegenseitig bei der facilitativen Haltung zu unterstützen.
  • Denke an den Grundsatz „einfach mal nichts tun“, bewege dich langsam.
  • Ich muss damit leben, dass es möglicherweise Teilnehmende gibt, die meinen Beitrag zum Gruppenergebnis nicht sehen (können), das gehört zu meinem Job.
  • Wenn ich den Drang verspüre, etwas zum Kontext zu sagen, mich einzumischen …. dann prüfe ich innerlich, ob 1. dies daher kommt, dass (vielleicht nur ein) TN mich kritisch betrachtet oder meine Arbeit kritisch kommentiert und damit einen wunden Punkt bei mir trifft (Unsicherheit), oder ob 2. ich tatsächlich einen Aspekt des Themas sehe, der bisher noch gar keine Rolle spielte, aber ggf. zur Lösung beitragen könnte.
  • Wenn ich nach dieser Prüfung der Meinung bin, dass ich mich nicht zurückhalten sollte (also im Falle von 2), dann warte ich erst noch eine Weile, ob jemand aus der Gruppe genau diesen Aspekt einbringt (was in mindestens 80% der Fälle passiert); erst, wenn dies nicht geschieht, sage ich, dass ich jetzt einen „Seitenblick“ wage und einen Gedanken anzubieten habe, mache aber genauso deutlich, dass dies nur ein Angebot und nur eine Ergänzung zum bisher Gesagten ist. Ich ziehe mich sofort zurück, wenn ich merke, dass ich daneben lag, UND auch, wenn der Aspekt dankend angenommen wird! Bloß nicht um Anerkennung buhlen! Dieses Mittel unbedingt sparsam anwenden, denn sonst fragt die Gruppe in der nächsten vergleichbaren Situation nach meiner „Expertenmeinung“.

Entwicklungsaufgaben für mich als Begleitung
Stille in der Gruppe aushalten und wenn möglich genießen!

Ich achte während eines Gruppenprozesses stets darauf, dass bei wichtigen Fragen genügend Zeit ist, nachzudenken. Z.B. nach der Präsentation von Kleingruppenergebnissen stelle ich meist die Frage: „Was denken Sie jetzt über das, was gerade hier gesprochen wurde, welche Resonanz gibt es?“. Um hier authentische und „frische“ Gedanken zu artikulieren, brauchen Menschen in der Regel ein wenig Zeit. Wenn dann also eine Stille entsteht, ist es mein Job, diese Stille auszuhalten, vielleicht 10, 20 oder 30 Sekunden – es kommt i.d.R. allen sehr lange vor – es könnte aber einem Gruppenmitglied genug Raum geben, etwas zu sagen, das alles ändert!

Ich bekomme häufig nach Treffen das Feedback, dass es zwar etwas unangenehm war, längere Stille in der Gruppe auszuhalten (je größer die Gruppe, desto schwieriger), dass es aber zugleich wichtig war, in diesem speziellen Moment Zeit zum Nachdenken zu haben. Wird die Frage eines TN nicht gleich beantwortet (von der Gruppe oder vom Facilitator), gehen ihm meist jede Menge Gedanken durch den Kopf: „Oh je, falsche Frage… die verstehen mich nicht…. was mach ich jetzt bloß?…. die mögen mich nicht…. wie peinlich……“. Meist ist jedoch der Grund einfach nur, dass Menschen Zeit zum Nachdenken brauchen.

Warum ist das wichtig? Indem die begleitende Person nicht gleich die Stille überbrückt, sondern abwartet, gibt sie allen aus der Gruppe die Chance, die Sache in die Hand zu nehmen. Oder anders gesagt: wenn ich Schweigen als Problem empfinde, nehme ich anderen die Chance, für sich selbst zu sorgen.

Glaubenssätze, die die facilitative Haltung behindern, ersetzen durch solche, die den Gruppenprozess unterstützen. D.h., alle Aussagen von Gruppenmitgliedern sind wertvoll, auch wenn wir sie nicht verstehen, teilen oder tolerieren. Je stärker unsere Kongruenz mit diesem Grundsatz, desto eher kann die Gruppe das gleiche tun. Wenn die richtige Struktur vorhanden ist (Zeit und Raum), sind Gruppen in der Lage, auch bei diversen Meinungen zu einer Einigung zu kommen.

Wann ist Facilitation nichts für mich?
Diese Art des Facilitation eignet sich nicht für alle Menschen, die mit Gruppen arbeiten. Eher ungeeignet ist es für diejenigen, die gerne auf einer Bühne stehen und als Fachexpert*in wahrgenommen werden möchten, vor allem aber für die, die das Gefühl von Sicherheit und Kontrolle brauchen. Gleichfalls ungeeignet ist es für diejenigen, die lieber Antworten geben als Fragen zu stellen, und denen Diversität und Uneindeutigkeit Unbehagen bereitet, Angst macht oder sie ungeduldig werden lässt.

Wenn es Dir aber möglich wird, Dein Beraterwissen immer mehr zurückzuhalten, Dein Wissen über lebendige Systeme und Menschen in einer neuen Leichtigkeit zu leben und Freude daran zu entwickeln, deinen Teilnehmenden dabei zuzusehen, wie offene Räume mit Leidenschaft und  Verantwortung gefüllt werden – dann WILLKOMMEN in der Welt der Facilitation!

 

© Jutta Weimar – Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Leicht veränderter Auszug aus dem Buch „Mini Handbuch Facilitation“, erschienen 2021 beim Beltz Verlag. Alle Rechte vorbehalten.
Mehr Informationen zu Facilitation unter: www.facilitation-academy.de