Facilitation Academy | Facilitating Leadership

Die Erkenntnisse und Grundlagen unserer Praxis zum Thema Dialog gehen auf die Forschung des Quantenphysikers David Bohm zurück. Bohm erforschte, wie unser Denken die Phänomene um uns herum, die eigentlich zusammengehören, aufspaltet und zerteilt und damit Unterscheidungen und Interpretationen hervorbringt, die uns Schwierigkeiten bereiten.

Es geht also im Kern darum, die einer herausfordernden Fragestellung zugrundeliegenden Zusammenhänge im Gespräch zu erkunden und wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen. Erst wenn das Bild wieder komplett wird, kann das Neue entstehen.

In einem dialogischen Gespräch versuchen wir, unsere eigene Meinung »in der Schwebe zu halten« und für eine Weile die Perspektive der anderen Person einzunehmen. Dialog findet immer in der Gegenwart statt, wird jedoch gespeist von dem, was in der Vergangenheit war, und der besondere Moment geschieht, wenn wir ganz in der Gegenwart und im Kontakt mit uns und der Gruppe sind.

Wie ermöglichen wir dialogische Qualitäten?

Bohm identifizierte vier Praktiken des Dialogs, die in der Arbeit von Facilitatorinnen und Facilitatoren einen hohen Stellenwert haben:

  • Zuhören
  • Respektieren
  • Suspendieren
  • Artikulieren

Diese Praktiken wurden von William Isaacs – einem Schüler Bohms – in dem Buch „Dialog als Kunst gemeinsam zu denken“ (2002) anschaulich dargelegt:

Zuhören: Die besondere Qualität des Zuhörens in der dialogischen Praxis bedeutet, sich dem Denken vorurteilsfrei zu öffnen, also »ganz Ohr« zu sein.

»Beim Zuhören stellt man oft fest, dass man aus der Störung heraus zuhört, das heißt, man ist nicht in der Gegenwart, sondern in einer emotionalen Erinnerung.« (William Isaacs).

Das Ohr ist ein bemerkenswertes Organ, mit dem wir viel mehr aufnehmen können als das, was gesagt wird. Die Melodie und die Tonart in der Stimme der anderen geben hilfreiche Hinweise auf viele weitere Informationen jenseits der Worte.

Das bedeutet: Wenn ich zuhöre, dann nehme ich meine eigene Stimme (also den »Kommentar«, der immerfort in meinem Kopf wach ist) wahr und erkenne sie als Reaktion aus der Vergangenheit. Ich höre mir also selbst zu. Und nur, wenn es mir gelingt, dieser Stimme eine möglichst geringe Bedeutung beizumessen, kann ich mich für das öffnen, was eine andere Person sagt.

Zuhören bezieht sich daher nicht nur auf das, was gesagt wird, sondern bezieht die Stille mit ein.

 

Respektieren: Respektieren (lateinisch re-spectere: erneut hinschauen, beobachten) bedeutet, auf Abwehr, Schuldzuweisung, Abwertung und Kritik zu verzichten. Alle dürfen so sein, wie sie sind. Jede Idee, jede Meinung ist genauso richtig und legitim wie meine eigenen Ideen.

»Zu den schwierigsten Dingen, die eine Gruppe im Dialog lernen kann, gehört es, auftretende Spannungen auszuhalten, ohne darauf zu reagieren. Es zählt zu den Gruppenfähigkeiten im Dialog, alle auftretenden Perspektiven lange genug zu respektieren, um sie zu erkunden.
(William Isaacs).

Respekt bedeutet daher zu respektieren, was gesagt wird und was geschieht: Es ist ein aktives Tun. Wenn wir respektieren, dann sind wir bereit, die Quelle der eigenen und kollektiven Erfahrung zu erkunden und öffnen uns für das, was kommt. Es geht hier also besonders um das Erkennen des »Wir – Hier – Jetzt« und ermöglicht ein tiefes Annehmen der Situation.

Um Respekt zu lernen, hilft es, sich immer wieder die Frage zu stellen: »Wie passt das, was ich hier sehe und höre, in ein großes Ganzes? In welcher Weise gehört es dazu? Was geschieht hier gerade?« Hierzu sind alle Arten von Reflexionsschleifen im Gruppenprozess geeignet.

 

Suspendieren: Suspendieren bedeutet, die eigenen Gedanken so gut es geht »außer Dienst zu stellen« beziehungsweise so zu hinterfragen und einzubringen, dass man selbst und andere sie verstehen können.

 »Nicht verhandelbare Positionen sind wie Felsen im Strom des Dialogs: sie stauen ihn. Zu den zentralsten Prozessen des Dialogs zählt deshalb die Praktik des Suspendierens, mit anderen Worten, die Kunst, Abstand zu gewinnen und zu einer anderen Perspektive zu gelangen.«
(William Isaacs)

Es geht darum, das Geschehen und die eigene Haltung in der Schwebe zu halten und offen für neue Erkenntnisse zu sein.

Ein Kollege von mir nennt das »Was interessiert mich mein Geschwätz von eben?« und drückt damit genau die Durchlässigkeit im Denken aus, die wir im Dialog benötigen. Wenn wir unser »Wissen« als Konstrukt erkennen, können wir im Suspendieren unsere Annahmen und Bewertungen sichtbar machen, sie veröffentlichen, sie vor uns »aufhängen«, sie so in der Schwebe halten und suspendieren: »Das ist meine Meinung, meine Haltung zum Thema, und ich halte diese in der Schwebe und lasse mich auf das ein, was weiter geschieht.«

 

Artikulieren: Artikulieren bedeutet, die eigene, authentische Sprache zu finden und die eigene Wahrheit mitzuteilen.

»Artikulieren erfordert auch die Bereitschaft, der Leere zu vertrauen, dem zunächst entstehenden Gefühl, nicht zu wissen, was man tun und sagen soll. Die Menschen reden unter anderem deshalb so viel, weil sie einsam sind. Sie fürchten das Schweigen, sie haben Angst, statt eines kreativen Raumes nur eine große Leere in sich zu haben.«
(William Isaacs)

Wir versuchen im Dialog von dem zu sprechen, was uns wirklich bewegt – intellektuelle Höhenflüge, abstrakte Abhandlungen und Selbstdarstellungen sind daher an dieser Stelle eher kontraproduktiv. Hierbei spielt die Wahrnehmung der Reaktionen, Gefühle und inneren Bilder, die bei einem selbst entstehen eine wichtige Rolle.

Wenn ich herausfinde, was ich wahrnehme und was mich gerade innerlich bewegt und dies dann ausspreche, kann ich einen entscheidenden Beitrag zum Durchbrechen der Gedanken leisten und damit neue Türen öffnen.

David Bohm beschreibt zwei dunkle Seiten des Artikulierens: Entweder traue ich mich nicht zu sprechen beziehungsweise schaffe es nicht, mich begreiflich zu machen, oder aber ich spreche zu viel und nehme zu viel Raum ein. Im Dialog geht es zudem darum, diese beiden Möglichkeiten in sich selbst wahrzunehmen und die Balance zur eigenen Stimme zu finden. Frische Gedanken kommen selten als vollständige, eloquente Sätze daher, sondern werden oftmals eingeleitet von einem Halbsatz wie: »Ich weiß noch nicht genau, wie ich es ausdrücken soll, aber …« Für mich als Facilitatorin ist das immer ein Zeichen für die Möglichkeit, dass etwas Neues den Diskurs erweitert. In solchen Momenten bin ich immer besonders aufmerksam!

 

Mehr zu Facilitation in meinem „Mini Handbuch Facilitation“, erschienen 2021 beim Beltz-Verlag oder in unseren Ausbildungsangeboten auf www.facilitation-academy.de

© Jutta Weimar – Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Leicht veränderter Auszug aus dem Buch „Mini-Handbuch Facilitation“, erschienen 2021 beim Beltz Verlag. Alle Rechte vorbehalten. Mehr Informationen zu Facilitation unter: www.facilitation-academy.de

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