Facilitation Academy | Facilitating Leadership

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1 Grundorientierung: Konzentration auf Beziehungen und ProzesseMeine Grundsätze des #Facilitation, 1 von 8

Bei einer Maschine können aus dem Zustand der Einzelteile grundlegende Informationen in Bezug auf das Funktionieren der gesamten Maschine gezogen werden. Wenn wir mit einzelnen Personen und Gruppen arbeiten, führt dieser Blick leicht in die Irre oder lenkt uns von dem ab, was wir tatsächlich gestalten können. Denn wenn wir Selbstorganisation voraussetzen, müssen wir uns eingestehen, dass wir das Verhalten Einzelner nicht verändern können. Und wir haben erst recht keinen direkten Einfluss auf das, was Menschen fühlen und was sie in ihrem Handeln beeinflusst.

In der facilitativen Orientierung beobachten wir nicht die einzelne Person und ihr momentanes Befinden beziehungsweise Verhalten, sondern unser Blick gilt den Beziehungen der Menschen untereinander und den Prozessen. Wir schauen also auf das, was zwischen den Menschen geschieht – und wir arbeiten an der Gestaltung und Erhaltung des sozialen Containers. Dies tun wir, indem wir gestalten, was in unserer Macht als Facilitator*innen liegt.

  • In der Auftragsklärung und in der Zusammenarbeit mit unseren Auftraggebern sorgen wir für unterstützende Rahmenbedingungen. Dazu gehören zum Beispiel:
    – genügend Zeit einplanen
    – die richtigen Personen zur Bearbeitung der Aufgabe dabei haben
    – eine klare Struktur herstellen (Transparenz über die Ziele, die »Leitplanken«, den Ablauf und unsere Rolle etc.)
  • Wir nutzen möglichst unterstützende, interaktive und dialogfördernde Elemente: zum Beispiel Kleingruppenarbeit, Paarinterviews, Murmelgruppen.
  • Gefühle und Kreativität einladen: durch interessante und ganzheitliche Methoden und Kreativitätstechniken, aber auch durch unsere entspannte »Unerschrockenheit« in Bezug auf emotionale Äußerungen oder Reaktionen der Teilnehmenden. Mehr dazu findest Du im Kapitel Dialog.

Einstiegs- und Ausstiegsrunde: Wir beginnen jeden Workshop (und bei mehrtägigen Treffen jeden Tag) mit einer Einstiegsrunde (»Check-In«) und beenden jeden Tag mit einer Abschlussrunde (»Check-Out«). Das bewirkt Folgendes:

  • Alle haben die Möglichkeit zu sprechen, auch die »Stillen«.
  • Alle erfahren mehr über die anderen, deren Gedanken und Gefühle.
  • Diese Runden markieren Grenzen – den Anfang und das Ende – und sind für den sozialen Container enorm wichtig. Wenn jemand in der Einstiegsrunde von etwas berichtet, was ihm oder ihr Sorgen bereitet, kann die Person diese Sorgen (sofern sie den gemeinsamen Prozess nicht direkt betreffen) besser »draußen lassen« und sich mehr dem »Hier und Jetzt« widmen.
  • Bei einer kontinuierlichen Gruppe (zum Beispiel einer Steuerungsgruppe) kann das »Ritual« dazu beitragen, dass sich die Teilnehmenden immer mehr trauen, ihre Gedanken zu teilen und sich zu zeigen.
  • Die Bandbreite an Perspektiven wird sichtbar und wirkt so Polarisierung entgegen.

Typische Fragen für den Einstieg sind »Wie komme ich heute hier an und was ist heute wichtig für mich?« und für die Abschlussrunde »Wie war es heute?«
Ich favorisiere diese schlichten und einfachen Fragen. Natürlich kann ich mir auch eine besonders sinnvolle oder auf den Kontext bezogene Frage für den Einstieg ausdenken, beispielsweise »Was bedeutet Kooperation für dich?«. Das mache ich aber lieber nach dem »Check-In« in einer zweiten Runde oder in anderer Form.

Je weniger ich in den Einstieg selbst etwas hineingebe, desto klarer und persönlicher werden die Aussagen der Personen im Raum. Manche finden diese Runden befremdlich und äußern sich kaum, giggeln, spotten oder erröten. Ich sehe dies keineswegs als Zeichen, dass die Form nicht passt, sondern dass die Person nicht gewöhnt ist, vor der Gruppe von sich zu sprechen. Dann ist der facilitative Weg also ein neuer Weg für diesen Menschen, und es wird Zeit, dass er oder sie ihn kennenlernt.

Oft nutze ich für die Einstiegsrunde ein Set mit Bildkarten und lade die Teilnehmenden ein, eine für ihren momentanen inneren Zustand oder ihren Wunsch für diesen Tag passende Karte zu wählen und diese in die Einstiegsrunde zu integrieren. Dies öffnet den kreativen Raum und bietet zusätzliche Informationsquellen für alle im Raum.

Stille aushalten: Eine weitere, sehr zentrale und oft unterschätzte Technik ist das Aushalten der Stille. Gerade dann, wenn wir neue Gedanken und Ideen ermöglichen wollen, ist in der Regel eine Person notwendig, die geduldig abwarten kann, bis jemand einen weiteren Aspekt beiträgt.

Eine typische Frage, die wir häufig stellen, wenn wir in der gesamten Gruppe sprechen, ist: »Möchte noch jemand etwas beitragen, gibt es noch weitere Aspekte?« In angespannten Situationen folgt dieser Frage in den meisten Fällen zunächst eine Zeit der Stille. Für mich ist das der Moment, in dem ich mich auf mein Atmen konzentriere, mit offenem, aber eher unfokussiertem Blick in die Runde schaue und abwarte. Neue Gedanken oder schwierige Themen verbergen sich meist, und viele benötigen erst einmal Zeit, um zu entscheiden, ob sie sie aussprechen wollen oder nicht. Der innere Satz »Die Gruppe denkt!« hat sich in solchen Momenten, die für alle Anwesenden nicht gerade angenehm sind, sehr bewährt, statt über ein aufgeregtes »Oh Gott, sie haben mich nicht verstanden« oder »Mist, falsche Intervention« nachzudenken.

Wenn es nach einiger Zeit (und hier können sich 30 Sekunden sehr lang anfühlen) kein Anzeichen dafür gibt, dass jemand etwas sagt, frage ich meist: »Seid ihr bereit für den nächsten Schritt?« Anschließend gehen wir weiter den nächsten Schritt.

Facilitative Enthaltsamkeit: Darüber hinaus üben wir uns in »facilitativer Enthaltsamkeit«, konzentrieren uns darauf, den Raum für alle so sicher wie möglich zu machen und überlassen den Teilnehmenden, soweit es geht, die Bewegungsfreiheit, den Raum mit ihrem Sinn zu füllen.

Liberating Structures: Ein sehr hilfreiches Set sozialer Techniken, Interaktionsformaten und hoch partizipativen Methoden bilden die von Keith McCandless und Henri Lipmanowicz entwickelten und sich momentan durch Meetups und eine lebendige weltweite Community rasant verbreitenden Liberating Structures. Diese 33+ genau beschriebenen Strukturen ermöglichen Gruppen, ihre Vielfalt produktiv zu nutzen und Komplexität zu begegnen, statt sie zu simplifizieren oder zu ignorieren.

 

Die Liberating Structures
Die Strukturen werden durch eine »Creative Commons«-Lizenz zur Verfügung gestellt und sind damit für alle nutzbar, die Urheberschaft bleibt bei den Autoren. Durch diese Vereinbarung und die damit verbundene Haltung der Autoren (ein Geschenk) entstehen weltweit Nutzergruppen und Communities, die Praxis wird erweitert und alle lernen dazu.

Dies ist ein Beispiel, wie es für viele facilitative Ansätze gilt: Es gibt keine klassische »Lizenzierung« und »Zertifizierung«, die Inhalte sind in aller Breite und Tiefe frei verfügbar und werden von vielen verbreitet.

Die Liberating Structures sind aus meiner Praxis nicht mehr wegzudenken und sind durch ihre präzise Beschreibung und Verbindung untereinander sehr gut auch für diejenigen einsetzbar, die noch am Beginn ihrer Praxis stehen. Mittlerweile gehen die Strukturen in Organisationen »viral«. Das bedeutet: Teams und Arbeitsgruppen nehmen sie auf, nutzen sie zur Strukturierung ihrer Treffen und entwickeln damit partizipative Formen der Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung.

Mehr zu Liberating Structures findest du unter: www.liberatingstructures.de.

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Mehr zu den Grundsätzen des Facilitation in meinem „Mini Handbuch Facilitation“, Beltz-Verlag 2021, oder in unseren Ausbildungsangeboten auf www.facilitation-academy.de

Wir möchten besonders auf unsere folgenden Ausbildungsangebote hinweisen:
1-jährige Ausbildung zum Facilitator
Seminar Interne Prozessbegleitung
Facilitation Basics Online

© Jutta Weimar – Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Leicht veränderter Auszug aus dem Buch „Mini-Handbuch Facilitation“, erschienen 2021 beim Beltz Verlag. Alle Rechte vorbehalten.

*** English version ***

1 Basic orientation: focus on relationships and processesMy principles of #Facilitation 1 of 8

With a machine, fundamental information can be drawn from the state of the individual parts in relation to the functioning of the machine as a whole. When we work with individuals and groups, this view easily misleads or distracts us from what we can actually design. Because if we assume self-organization, we have to admit that we cannot change the behavior of individuals. And we certainly have no direct influence on what people feel and what influences them in their actions.

In facilitative orientation, we do not observe the individual person and his or her current state or behavior, but we look at the relationships between people and the process. So, we look at what happens between people – and we work on the shaping and maintaining the social container. We do this by shaping what is within our power as facilitators.

– In clarifying the assignment and in working with our clients, we provide supportive frameworks. This includes for example:

  • scheduling enough time
  • having the right people to work on the task
  • establishing a clear structure (transparency about the goals, the „guard rails“, the process and our role, etc.)

– We use elements that are as supportive, interactive and conducive to dialogue as possible, as, for example, small group work, pair interviews or murmuring groups.

– Inviting feelings and creativity: through interesting and holistic methods and creativity techniques, but also through our relaxed „fearlessness“ regarding emotional expressions or reactions of the participants. You can find more about this in the chapter Dialogue.

 

CHECK-IN and CHECK-OUT: We begin each workshop (and each day for multi-day meetings) with an entry round („check-in“) and end each day with a closing round („check-out“). This accomplishes the following:

– Everyone has a chance to speak, including the „quiet ones.“

– Everyone learns more about the others, their thoughts and feelings.

– These rounds mark boundaries – the beginning and the end – and are enormously important for the social container. If someone reports something that worries him or her in the opening round, the person can better „leave those worries out there“ (unless they directly affect the shared process) and devote more time to the „here and now.“

– In a continuous group (for example, a steering group), the „ritual“ can help participants become more confident in sharing their thoughts and showing up.

– The range of perspectives becomes visible and thus counteracts polarization.

 

Typical questions to start with are „How did I get here today and what is important to me today?“ and for the closing round, „How was it today?“

I favor these plain and simple questions. Of course, I can also come up with a particularly meaningful or contextualized question for the opening, such as „What does cooperation mean to you?“ But I prefer to do that after the „check-in“ in a second round or other way.

The less I put into the lead-in itself, the clearer and more personal the statements of the people in the room become. Some find these rounds alienating and hardly express themselves, while giggling, mocking or blushing. I don’t see this at all as a sign that the form doesn’t fit, but that the person is not used to speaking about herself in front of the group. Which means, that the facilitative way is a new way for this person, and it’s time for him or her to get to know it.

I often use a set of picture cards for the introductory session and invite participants to choose a card appropriate for their current inner state or desire for that day and integrate it into the introductory session. This opens the creative space and provides additional sources of information for everyone in the room.

 

HOLDING SILENCE: Another very central and often underestimated technique is enduring silence. Especially when we want to facilitate new thoughts and ideas, it usually takes one person to patiently wait for someone to contribute another aspect.

A typical question we often ask when speaking to the whole group is, „Does anyone else want to contribute, are there any other aspects?“ In tense situations, this question is most often followed initially by a period of silence. For me, this is the moment when I focus on my breathing, look around the group with an open but rather unfocused gaze, and wait. New thoughts or difficult topics are usually hiding, and many people need time first to decide whether they want to express them or not. The inner sentence „The group is thinking!“ has proven very useful in such moments, which are not exactly pleasant for all attendees, instead of thinking about an excited „Oh God, they didn’t understand me“ or „Crap, wrong intervention“.

If after some time (and here 30 seconds can feel very long) there is no sign of anyone saying anything, I usually ask, „Are you ready for the next step?“ Then we move on to the next step.

 

FACILITATIVE ABSTINENCE: In addition, we practice „facilitative abstinence,“ focusing on making the space as safe as possible for everyone and, as much as possible, allowing participants the freedom of movement to fill the space with their meaning.

 

LIBERATING STRUCTURES: A very helpful set of social techniques, interaction formats and highly participatory methods are the Liberating Structures, developed by Keith McCandless and Henri Lipmanowicz, which are currently spreading rapidly through Meetups and a vibrant global community. These 33+ precisely described structures enable groups to use their diversity productively and to confront complexity rather than simplify or ignore it.

The Liberating Structures
Structures are made available through a „Creative Commons“ license, making them available for all to use, with authorship remaining with the authors. Through this agreement and the associated attitude of the authors (a gift), user groups and communities are created worldwide, practice is expanded, and everyone learns.

This is an example as it applies to many facilitative approaches: there is no classical „licensing“ and „certification“, the content is freely available in all breadth and depth and is distributed by many.

It is impossible to imagine my practice without the Liberating Structures, and their precise description and connection to each other make them very applicable even for those who are still at the beginning of their practice. Meanwhile, the structures go „viral“ in organizations. This means that teams and workgroups are adopting them, using them to structure their meetings, and using them to develop participatory forms of collaboration and decision-making.

For more on Liberating Structures, visit: www.liberatingstructures.de.

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More about the principles and practice of facilitation in my „Mini Handbuch Facilitation“, published 2021 by Beltz-Verlag, or in our training offers on www.facilitation-academy.de

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