Facilitation Academy | Facilitating Leadership

Was macht eine*n facilitative*n Trainer*in aus? Ein Interview

Jutta: Melanie, was macht für dich eine facilitative Trainerin aus?

Melanie: Für mich ist erst mal die Erfahrung die, dass es einen großen Unterschied macht. Und natürlich schaue ich, was sich an meiner Arbeitsweise verändert hat. Tatsächlich ist es so, dass sich der Fokus eher auf die Gruppen verschoben hat. Der Inhalt ist zwar immer noch wichtig, aber viel wichtiger ist das, was mit dem Inhalt in der Gruppe passiert. Für mich wäre es daher auf jeden Fall ein wichtiges (Ergänzungs)-Modul für erfahrene und angehende Trainer*innen, auch diese Haltung zu „vermitteln“, Gruppen und Menschen anders zu begegnen.

Jutta: Kannst du dieses „anders“ beschreiben? Was machst du jetzt anders als vorher?

Melanie: Für mich ist das Thema Partizipation im Training wichtig, also Teilnehmende stärker zu beteiligen. Neulich bin ich auf so einen tollen Begriff gestoßen: wir reden ja in den Seminaren häufig von Teilnehmenden – aber als Trainerin mit facilitativer Haltung betrachte ich die Menschen eher als Teilgebende. Das ist glaube ich das, was wirklich anders ist und für mich den Unterschied macht. Aus Teilnehmenden Teilgebende zu machen und sie viel aktiver in den gemeinsamen Prozess in einem Seminar einzubinden.
Und da gibt es natürlich all die tollen Methode und Strukturen, die das auch bereichert haben – allein mit den Liberating Structures zu arbeiten, finde ich so viel interessanter.

Jutta: Also geht es vielleicht ja auch nicht so sehr darum, was du vermittelst, sondern wie du es vermittelst? Dass der Inhalt eher gleichgeblieben ist, aber dass es sich verändert hat, wie dieser Inhalt zu den Leuten kommt?

Melanie: Ja. Es gibt jetzt einen stärkeren Fokus auf das gemeinsame Erleben und Erarbeiten. Und was sich auch verändert hat, ist, dass es jetzt noch mal einen stärkeren Fokus auf die Auftragsklärung gibt.

Jutta: Wenn du sagst, der Fokus habe sich verschoben auf das gemeinsame Erleben, kannst du beschreiben, was dann im Ergebnis anders ist?

Melanie: Die Inhalte erlebbarer zu machen, die Lernräume lebendiger zu gestalten, sich also noch mehr vorab mit dem Rahmen zu beschäftigen, wie möchte ich den Raum gestalten und was brauchen wir, damit Interaktivität möglich ist. Und dazu gehört eben auch die Auftragsklärung. Ich mache mittlerweile auch immer noch mal eine interne Auftragsklärung.

Jutta: Mit den Teilnehmenden?

Melanie: Ja.

Jutta: Das heißt, wie beginnst du dann?

Melanie: Ich sehe das eher im Sinne eines Dreiecksvertrages. Das heißt also, ich versuche zu klären, was ihnen vorher eigentlich gesagt wurde, um was es hier heute gehen soll. Und dann versuche ich intern, die Gruppe an der Entscheidung zu beteiligen, wie wir die Schwerpunkte unseres Seminars setzen. Das ist für mich sehr facilitativ: nicht nur auf die Seite der Auftraggebenden zu schauen und zu hören, was wichtig ist, sondern es geht für mich darum, dass ich vor allem mit meiner Gruppe schaue, wie die Gewichtung für sie ist. Denn letztendlich geht es ja um sie und ihre Interessen, und nicht so sehr um das, was ich als Fahrplan mitgebracht habe. Das ist für mich auch ein großer Unterschied. Da beginnt für mich eigentlich schon in der Eröffnungsphase die Beteiligung. Damit werden sie für mich schon zu Teilgebenden, wenn wir uns gleich zu Beginn über Gewichtung und Schwerpunkte austauschen, bevor es überhaupt so richtig mit den Inhalten losgeht.

Jutta: Jetzt hast du von Interaktivität und Partizipation gesprochen – aber das sind ja eigentlich nur Hilfsmittel. Kannst du beschreiben, was am Ende dabei herauskommt? Was ist das Ergebnis, wenn du so anders arbeitest mit den Gruppen? Vor allem für die Teilnehmenden?

Melanie: Das eine ist – was ich sehr faszinierend finde – dass ich es im Seminar erlebe, dass die Motivation zum Start erst mal nicht so groß ist, weil ich dann höre: naja, ich musste daran teilnehmen. Da ist dann durchaus auch mal keine Freiwilligkeit bei den Teilnehmenden.

Jutta: Ja, und oft haben sie ja auch so ein Gefühl von Mangel, dass sie anscheinend ihre Arbeit nicht richtig machen.

Melanie: Ja, genau: ich suche mir das nicht selbst aus, weil ich denke, dass das für mich gut wäre, sondern ich muss jetzt schon mal planen, was vielleicht in einem halben Jahr gut für mich wäre. Deshalb finde ich es spannend, dass nach einiger Zeit – meist schon nach der Hälfte des Seminartages – die ersten Rückmeldungen von den Teilnehmenden kommen, wie glücklich sie darüber sind, dass sie jetzt hier sind, weil sie merken, dass es eben keine Pflichtveranstaltung ist, und dass dadurch so ein bisschen die Lernfreude wieder kommt. Es ist eben nicht die übliche, frontale Beschallung, wo ich den Fahrplan alleine vorgebe…

Jutta: Ich bin wissend, du bist unwissend…

Melanie: Genau, dieses Verhältnis von Macht und Ohnmacht. Stattdessen begegnen wir uns auf Augenhöhe, und ich bin vor allem dafür da, den Rahmen für die Teilnehmenden zu gestalten. Natürlich gebe ich auch meinen Input mit rein, aber viel mehr Input steckt ja in den Teilnehmenden, und es geht eher darum, den gemeinsam zu schöpfen.

Jutta: Könnte es also sein, dass die Menschen dadurch besser lernen? Weil sie es mit ihren Erfahrungen verbinden können? Erwachsene lernen ja, indem sie ihre Vorerfahrungen mit einbeziehen, und deshalb ist es auch wichtig, dass ich als Facilitatorin all das mit berücksichtige, was die Menschen in der Gruppe schon mitbringen. Es könnte also sein, dass die Menschen das durch partizipatives Lernen besser integrieren können, als wenn sie zu viel Inhalt in den Kopf gepustet bekommen.

Melanie: Ja.

Jutta: Kannst du ein Beispiel dafür geben, was für dich als Trainerin in der Facilitation Ausbildung schwierige Lernkurven waren? Was für dich das Herausforderndste war?

Melanie: Für mich war am herausforderndsten das Thema Kontrolle. Bei klassischen Trainings geht es ja darum: Behalte die Kontrolle, du hast die Struktur, den Fahrplan, du musst die Inhalte durchkriegen, weil du eine Verpflichtung gegenüber deinen Auftraggebenden und deinem Vertrag hast. Und dann plötzlich einer Trainerin zu sagen: „Kontrolliere nur das, was kontrollierbar ist, nur nicht das Verhalten!“ Das war für mich erst mal der größte Widerspruch, nach dem Motto: Wie? Ich bin für die Struktur und den Raum verantwortlich, und soll aber nichts kontrollieren? Und dann musste ich das erstmal rausfiltern – denn natürlich kontrolliere ich trotzdem etwas, nämlich den Rahmen, also ich muss schauen, dass da alles stimmt, dass ich in der Zeit bleibe und dass ich die Prozesse immer wieder angepasst kriege, damit wir im Flow sind…

Jutta: …und nicht das, was jede*r Einzelne gerade tut…

Melanie: Genau. Da auch mit mehr Leichtigkeit ranzugehen, wenn Menschen später nach der Pause wieder kommen, das nicht persönlich zu nehmen – all das sind so kleine Aspekte, die aber im Zusammenwirken viel ausmachen.

Jutta: Wenn ich jetzt mal versuche, das zusammenzufassen, heißt das, eigentlich sollte jede*r Trainer*in in der Ausbildung lernen, zu facilitieren oder diese facilitative Haltung mitzubringen?

Melanie: Ja, denn jedes Training ist ja gleichzeitig eine Gruppenbegleitung, auch wenn es nur für einen Tag ist. Und gerade wenn es darum geht, Lernräume zu gestalten – fasziniert mich die Frage: wie kann corporate learning in der Zukunft aussehen? Und da gehört Facilitation für mich mit dazu, damit das überhaupt möglich ist, dass wir uns immer wieder mit Freude und Begeisterung mit neuen Themen beschäftigen, angesichts des ständigen Wandels und der Geschwindigkeit, mit der es geschieht. Für mich ist das ein wichtiger Baustein, um als Erwachsene überhaupt noch lernen zu können.

Jutta: Dagegen geht es in der Trainerausbildung – ich habe ja selbst eine genossen – ja eigentlich immer um Macht. Macht und Kontrolle: mach, dass du gut dastehst und der Leithammel in der Gruppe bleibst. Das ist ja eine ganz andere Haltung.

Melanie: Ja. Aber für agiles Lernen oder new learning brauchen wir einfach eine andere Haltung und vielseitige Räume.

Jutta: Ja, das passt ja schon lange nicht mehr. Die jungen Leute fordern das inzwischen ja auch immer mehr ein, ernst genommen zu werden mit dem, was sie mitbringen. Und die Haltung muss da noch hinterherkommen.

Melanie: Ja. Ich hatte zum Beispiel ein sehr spannendes Erlebnis. Das war ein ganz klassischer Trainingskontext, wo es stark um Inhalte ging, weil danach auch eine Fortbildungsprüfung anstand. Und wie es immer so ist: es kam ein Konflikt auf in der Gruppe, Ängste. Das hatte mit Corona zu tun. Es gab einen Verdachtsfall in der Gruppe, und sollte erst mal nicht thematisiert werden. Und da habe ich gemerkt: in meinem alten Kontroll-Bewusstsein konnte ich das zwar gut verstehen, aber mit meinem facilitativen Herz hab‘ ich gemerkt, das geht gar nicht! Ich muss den Menschen doch die Möglichkeit geben, sich damit auseinanderzusetzen. Und genau das ist dann passiert, die Information kam über eine dritte Quelle doch in die Gruppe, während des Trainings, und dann ist es wie so eine Bombe geplatzt.

Jutta: Und es war wahrscheinlich gar nicht so schlimm, oder? Denn als Facilitator wissen wir ja, wie man mit so was umgehen kann. Man braucht keine Angst davor zu haben, weil es sowieso passiert.

Melanie: Genau! Es passiert sowieso! Aber trotzdem hätte ich es gern vorher thematisiert, proaktiv, und nicht so, dass es mich überrollt. In dem Moment war ich so dankbar, dass ich den Circle in meiner Tasche hatte. Und so haben wir alles umgebaut, haben einen Circle daraus gemacht. Und danach waren die Rückmeldungen so toll: dass jede „Befindlichkeit“ hier Raum hatte, so was hätten sie noch nie erlebt!

Jutta: …magic moment!…

Melanie: Ich kriege jetzt schon wieder Gänsehaut! Das war so erfüllend, und ich habe diesen Trainingstag wirklich mit Tränen in den Augen abgeschlossen, weil es auf einmal so stimmig war, alles war da, alles hatte seinen Raum, dank dieser tollen Struktur und dieser Haltung, zu wissen, dass die Gruppe schon das Richtige finden wird. Und dass sie dann am Ende sogar gemeinsam darüber sprechen konnten, was das für uns und die weitere Zusammenarbeit bedeutet, wieviel Nähe, wieviel Distanz, und damit eben auch ganz erwachsen umgehen zu können. Das war toll.

Jutta: Da ist was gewachsen, in jedem Einzelnen, und auch bei dir, oder?

Melanie: Ja.

Jutta: Vielleicht noch eine letzte Frage, Melanie: Was ist denn jetzt für dich der nächste Schritt in deiner facilitativen Praxis? Gibt es etwas, das du gerade schon kommen siehst?

Melanie: Das eine ist: ich finde es toll, dass ich in meiner Trainerrolle schon die facilitative Haltung integriert habe, da kann ich so für mich sagen: das klappt super! Aber das große faszinierende Feld ist für mich immer noch das Thema Großgruppenmoderation. Denn ich glaube, gerade in diesem Jahr wird die tatsächliche Veränderung in Organisationen kommen, die Auswirkungen werden wir erst in diesem oder sogar im nächsten Jahr spüren. Es wird sich in den Organisationen viel verändern, und es wird mehr um Partizipation gehen. Und in diesem Feld möchte ich dann gerne als Facilitatorin wirken.

Jutta: Um auch heilen zu können…

Melanie: Ja.

Jutta: Ja, du weißt ja, wie es geht. Und wo du Informationen bekommen kannst, wenn es soweit ist.

Melanie: Und das andere, worüber ich nachgedacht habe, ist, dass ich gerne so was Kleines für Trainer anbieten würde, eine kleine Modulreihe, genau zugeschnitten auf diese Zielgruppe.

Jutta: … become a facilitative trainer…

Melanie: Genau. Das ist so ein Herzensthema! Das braucht die Welt. Oder auf jeden Fall Trainer*innen, Ausbilder*innen, Lehrende und Lernende ………

Jutta: Vielen Dank, Melanie!

 

Melanie Z. arbeitet als selbstständige Facilitatorin, Trainerin und Beraterin. Sie begleitet Gruppen, Menschen und Organisationen in ihren vielfältigen Entwicklungsprozessen mit dem Schwerpunkt Lernkultur, Zusammenarbeit und Leadership. Sie hat die Ausbildung zur Facilitatorin an der Facilitation Academy abgeschlossen.

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